„Weihnachten ist die Zeit, in der die ganze Welt mit Liebe erleuchtet wird.“ – Oscar Wilde
Erinnerungen – Orte der Kindheit
Nichts prägt sosehr wie jene Orte, an denen man seine Kindheit verbracht hat. Sechs sehr persönliche Erinnerungen.
„Zehn traumhafte Kindheitsjahre“ – Anneliese Ratzenböck
Anneliese Ratzenböck kam als Vierjährige mit ihren Eltern in das Schloss Bruck an der Aschach. Das desolate Schloss, in dem von 1793 bis 1962 die Schule untergebracht war, wurde vor ein paar Jahren abgerissen, die Erinnerungen sind aber lebendig.
„Wo das Schloss war, steht jetzt nur mehr eine große Pappel. Sonst ist alles anders.“ Anneliese Ratzenböck muss einen kleinen Kulturschock überwinden, als sie den Ort ihrer Kindheit nach vielen Jahren wieder besucht. Am Grundstück eines neuen Privathauses, das anstelle des Schlosses errichtet worden ist, finden sich noch die Steintreppen, über die Anneliese als Kind unzählige Male gesprungen ist. Sie führten in den ersten Stock des alten Schlossgebäudes. Dort befanden sich zwei Schulklassen und das Lehrerzimmer. Die Oberlehrerwohnung und eine weitere Schulklasse waren im zweiten Stock. Das Amt des Oberlehrers hatte ihr Vater von 1938 bis 1946 inne. Anneliese erinnert sich an ein Schlafzimmer mit 50 Quadratmetern, das sich drei Geschwister teilten, und an ein Wohnzimmer mit gewölbter Decke, das früher Schlosskapelle war. „In den ersten zwei Klassen Volksschule musste ich nur im selben Stockwerk von einer Tür zur anderen gehen“, erinnert sie sich. Die dritte Klasse wurde einen Stock tiefer unterrichtet, die vierte Klasse war in einem Nebengebäude des Gasthofs Zehetmayr untergebracht und so hatte sie auch einen kurzen Schulweg. Der Dachboden war für die Oberlehrerkinder ein Eldorado: „Dort waren die alten Klassenbücher gelagert. Wir haben darin gestöbert und wussten über das schulische Benehmen des ganzen Ortes Bescheid“, schmunzelt sie. Ihren ersten Schulunterricht bestritt die heute 90-Jährige noch mit Schiefertafel und Griffel. Geturnt wurde im Freien. Gleich nebenan war ein Bauernhof mit angeschlossenem Gasthaus. Wenn sie für den Vater gelegentlich Bier holen musste, versetzte sie ein bösartiger Ganter in Schrecken. Erst Konrad Lorenz, dem Graugansforscher, gelang es, sie von der Ganterphobie zu befreien. Schloss Bruck war als Wasserschloss auf Eichenpiloten errichtet worden. Eine Weißdornhecke führte als Allee zum Schloss. Zugbrücke und Teich gab es zu Zeiten von Anneliese Polz, so ihr Mädchenname, nicht mehr. Stattdessen jedes Jahr ein Hochwasser der Aschach. Der Oberlehrer hatte im Fluss ein Fischereirecht,- was der Familie auch in schlechten Zeiten das Mittagessen sicherte. Mit einem Korkschwimmziegel um den Bauch lernte die Fünfjährige in der Aschach schwimmen. „Als ich lesen konnte, habe ich mich oft im Gang der Schule in den großen Bücherschrank, der bis an die hohe Decke reichte, gelegt. Das war unsere Schulbibliothek. Ich habe mich durch alle Regale gelesen.“ Als es in der vierten Klasse Volksschule galt, die Donausagen nachzuerzählen, gelang das Anneliese so gut, dass die Lehrerin Bergmann meinte: „Das ist besser als es im Buch steht.“ Anneliese nahm sich vor, einmal diese Sagen neu zu erzählen. 1990 wurde das Buch „Donaunixen und Wassergeister“ veröffentlicht. 1948 zog die Familie weiter nach Neukirchen am Wald. Dort entschied sie sich, selbst auch Lehrerin zu werden, und fand in Josef Ratzenböck, dem späteren Landeshauptmann, den Partner von bald siebzig gemeinsamen Ehejahren.
„Wenn man etwas will und kann, hat man alle Möglichkeiten“ – Landeshauptmann Thomas Stelzer
Landeshauptmann Thomas Stelzer hat in acht Schuljahren eine enge Beziehung zum Aloisianum aufgebaut. Die Linzer Privatschule bot ihm während seiner Schulzeit von 1977 bis 1985 viel für das spätere Leben.
„Als wir die Schule besichtigt haben, sind wir von hinten gekommen“, erinnert sich Thomas Stelzer. „Der Fußballplatz hat mich sofort begeistert“, fügt er lachend hinzu. Die oft wegen des harten Schlackenplatzes aufgeschundenen Knie sind längst verheilt. Die imposante Schule, um einen ehemaligen Festungsturm hoch über Linz gebaut, hat auch von vorne die Erwartungen seiner Eltern erfüllt. Es sei keineswegs elitär zugegangen, wie oft über die damals noch von Jesuiten geführte Privatschule gelästert wird: „Obwohl meine Eltern ,nur` Buchhalter und Hausfrau waren, habe ich das nie zu spüren bekommen.“ Sie wollten ihm als Einzelkind neben der Ausbildung auch eine gute Gemeinschaft bieten. Das scheint gelungen. Wenn Stelzer den Theatersaal des Hauses, der seit seiner Schulzeit unverändert ist, betritt, kommen sofort Erinnerungen. Bei einer Aufführung von Georg Büchners „Leonce und Lena“ sei in der Mitte sogar ein Klettergerüst installiert worden. Stelzer gab den „Staatskanzler“ – früh übt sich. Deutschprofessor Jakob Ebner ist in Erinnerung, wie er untersagte, sich in der Pause einer Aufführung als Schauspieler unter die Gäste zu mischen. Das sei „Dilettantismus eines Schmierentheaters“. Auf einer Bühne zu stehen, zu reden, das konnte Stelzer im Aloisianum trainieren. Er war Klassensprecher, hat aber auch einen Redewettbewerb katholischer Privatschulen Österreichs anlässlich des Papstbesuches 1983 gewonnen. Die ausgelobte Romreise sei „lässig“ gewesen. Wie er sich auch gerne an die Ferienreisen mit Pater Mühlberger erinnert, von der Österreich-Rundreise bis zum Assisi-Ausflug. Die Jesuiten waren zu Stelzers Zeiten im Aloisianum noch sehr präsent. Jeden Morgen wurden beispielsweise die Schüler von Pater Vala mit Handschlag am Schultor begrüßt. Das spirituelle Angebot gehörte dazu, wurde aber nicht aufgedrängt, wie Stelzer sich an die eher weniger genützte Beichtmöglichkeit erinnert. Besonders habe ihn geprägt, wie weltoffen man die Schüler erzogen hat, wie viele aktuelle Themen, die weit über den katholischen Tellerrand hinausgegangen sind, in die Schule eingebracht worden sind. Apropos von außen kommend: Beim Theaterspielen wurden die weiblichen Rollen mit Schülerinnen des Mädchengymnasiums Körnerstraße besetzt. „Das war eine willkommene Gelegenheit in einer Bubenschule auch Kontakt mit dem anderen Geschlecht aufzunehmen.“ Stelzer brillierte acht Schuljahre lang mit Vorzugs-Zeugnissen, aber er war kein humorloser Streber: „In der Mittagspause oder am Nachhauseweg sind wir oft ins nahegelegene Restaurant Wienerwald gegangen und haben dort nicht nur jugendfreie Getränke konsumiert.“ Freundschaften aus der Aloisianum-Zeit haben sich bis heute gehalten, nur die jährlichen Klassentreffen kollidieren gelegentlich mit dem vollen Terminkalender eines Landeshauptmannes. Zum Ausgleich sind einige Alt-Freinberger in seinem Büro tätig. Der Spirit der jungen Jahre verbindet.
„Welches Glück, wenn man hier aufwächst“ – Gexi Tostmann
Für Liebhaber von Trachten ist Gexi Tostmann eine österreichische Institution. Die 82-Jährige ist am Attersee aufgewachsen. Ein Grundstück am See hat sie mitsamt allen Menschen, denen sie dort begegnet ist, besonders geprägt.
„Mein Vater hat gesagt, mit 36 Linzern, die alle mit seiner Frau verwandt sind, hält er es nicht aus“, erzählt Gexi Tostmann. Sie sitzt in Seewalchen vor dem Bootshaus der „Christ-Villa“. Diese war früher auch im Mitbesitz ihrer Mutter. Ihr Vater, ein Hamburger, erwarb lieber ein Haus in Litzlberg. Zu dem Zeitpunkt war Gesine Maria Tostmann sieben Jahre alt. Das damals erstandene Haus bewohnt sie zusammen mit ihrer Tochter Anna bis heute. Dennoch ist dieser Platz am See ihr glücklicher Ort der Kindheit geblieben. Aus ihr sprudeln die Geschichten über die Menschen dieser Jahre nur so hervor. Ihre Mutter Marlen schwamm, so erinnert sich Gexi Tostmann, über den See zum Schloss Kammer gegenüber. Unter der Badehaube beförderte sie Zigaretten trocken über das Wasser, um sie anschließend mit den Freunden im Schloss zu rauchen. Bis zu ihrem Lebensende mit 102 Jahren blieb Marlen dem Tabak verbunden, ihre Tochter hat inzwischen den Zigaretten Ade gesagt. „Da habe ich zum ersten Mal einen Aal gefangen“, deutet Frau Tostmann auf eine Stelle beim Bootssteg. „Ich war ein glückliches, fröhliches Kind.“ Sportlich war sie allerdings nie, und im See schwimmt sie bis heute nur, „wenn er warm genug ist“. Im Schlafzimmer der Eltern in der Seevilla stand die erste Nähmaschine der Mutter. Mit dieser fertigte sie nach dem Krieg ihr erstes Dirndl an. Es wurde mit einem Laib Käse entlohnt und der Grundstock für „Trachten Tostmann“. Die Seevilla hatte ihren Ursprung in einem „Häuserl am See“. Ihre Urgroßmutter hatte es in die Ehe mit dem Linzer Kolonialwarenhändler Ludwig Christ eingebracht. Die beiden zogen aus Linz einen ganzen Schwung Freunde nach, die ebenfalls Sommerhäuser errichteten. Wenn Gexi Tostmann zur Villa blickt, denkt sie an die älteste Schwester ihrer Mutter, gerufen „Omi“. „Sie saß mit dem Gucker auf ihrem Balkon im ersten Stock und hat mit einem Luftdruckgewehr auf Vögel geschossen, aber eh nichts getroffen“. Im Nachbarhaus, dem „Schreiner-Häusl“, lebte Mitzi, Nichte von Emilie Flöge, der Erfinderin der Reformkleider, und die Witwe eines Grafen Medici. Sie habe mit schöner Tracht und ebensolchem Schmuck bei den Passanten der Seepromenade die erste Werbung für die Trachtenwerkstatt der Nachbarin gemacht. Von der handwerklichen Geschicklichkeit der Mutter hat Gesine nichts geerbt: „Ich war sogar ein Jahr vom Handarbeitsunterricht wegen Ungeschicklichkeit befreit.“ Dass sie ihre Firma dennoch erfolgreich geführt hat, liege daran, „dass ich immer alle bewundert habe, die etwas können.“ Was sie sich an Werten von diesem Ort der Kindheit mitgenommen hat? Einen Sinn für Handwerk, für Regionales, für die Ökologie und nicht zuletzt den für Humor. Er hilft ihr bis heute, um mit den Unterschieden der Menschen zurecht zu kommen, nicht nur, wenn es Verwandte sind.
„Beim Gaigehen habe ich Kopfrechnen gelernt“ – Bischof Manfred Scheuer
Der Linzer Bischof Manfred Scheuer hat als Bäckerssohn in Haibach ob der Donau früh mithelfen müssen und dabei einiges für’s Leben gelernt.
55 Groschen hat die Semmel gekostet, als der „Bäcker Fredi“, wie er in Haibach gerufen wurde, zusammen mit seinem Bruder ins Gai gegangen ist. „Als Volksschüler haben wir mit einem Zeger jeden Samstag 40, 50 Semmeln im Ort ausgetragen.“ So sei man in fast jedes Haus gekommen: „Es war mir lustig, mit den Leuten zu reden.“ Als er dann im Linzer Knabenseminar Petrinum zur Schule ging, war am Samstag Nachmittag, wenn der Bus gegen Dreiviertel Drei angekommen war, noch Gaigehen angesagt. In der achten Klasse Petrinum hatte Manfred Scheuer dann schon einen Führerschein und fuhr mit dem Auto in die Dörfer. „Die Bauern haben meist nicht bar bezahlt, sondern im Gegenzug Getreide geliefert.“ Der „Obere Bäck“, wie sein Elternhaus hieß, war eigentlich eine Selbstversorger-Landwirtschaft mit angeschlossener Bäckerei. Wenn die Eltern am Feld waren, mussten die Kinder daheim den Laden hüten. Auch wenn nur wenig Kundschaft kam, war doch damit der Weg zum Fußballplatz versperrt. Über all der Arbeit blieb den Eltern nicht viel Zeit für die Kinder. „Uns haben die Großeltern mit in die ‚Welt‘ genommen“, erinnert sich Bischof Manfred. Der Großvater betrieb eine Schneiderwerkstatt im ersten Stock des Hauses und konnte wunderbar Geschichten erzählen. Bei der Großmutter wurde dagegen die Schlafstatt aufgeschlagen. 10 bis 12 Personen lebten im Bäcker- bzw. Bauernhaus auf engstem Raum. „Ich habe von daheim die Fähigkeit viel und ausdauernd zu arbeiten übernommen, aber auch die Gefahr, Bestätigung nur durch die Arbeit zu suchen.“ Durch die Landwirtschaft sei ihm bewusst, was es heißt, etwas wachsen und reifen zu lassen. Sich Zeit zu lassen, Nahrung und Brot wertzuschätzen, haben sich eingeprägt. Das Internat in Linz erwies sich als Tor zu einer weiteren Welt: „Die Möglichkeiten zur Schulbildung oder andere Freunde kennenzulernen, waren in Haibach doch sehr begrenzt.“ Was aus der Kindheit in Haibach bleibt? Der Duft von Brot, die Achtsamkeit für alltägliche Verhältnisse, und „die Frage nach der konkreten Beheimatung, der Zugehörigkeit, der Verwurzelung. Beziehung und Freundschaft muss man in der kleinen Welt leben, sonst sind sie flüchtig.“ Es gelte die Räume der Vergangenheit wahrzunehmen als Prägung, auch der eigenen Grenzen. Die Intensität der Beziehung zum Heimatort hat sich im Laufe der Jahre und der Aufgaben, die sich ihm stellten, gewandelt. Seine Mutter und seine beiden Geschwister besucht er gerne, wenn auch selten. „Ich bin dankbar für die Personen, denen ich mich verdanke.“
„Eine Nacht daheim ist wie eine Woche Urlaub“ – Alois Mühlbacher
Alois Mühlbacher ist als Countertenor inzwischen international unterwegs. Der ehemalige St. Florianer Sängerknabe ist dennoch mit seiner Heimat Hinterstoder tief verbunden.
Der Blick auf die Spitzmauer, „den schönsten Berg des Toten Gebirges“, wie Alois Mühlbacher sagt, öffnet ihm jedes Mal das Herz. „Die Natur ist für mich Ausgleich und Ruhe.“ Aufgewachsen ist der Sänger im elterlichen Gastronomiebetrieb im Schiort Hinterstoder. „Ich hatte eine ganz normale Kindheit ohne große Ereignisse. Meine Wurzeln liegen im schlichten Dorfleben. Das erdet mich bis heute.“ Seine enge Verbindung zur Familie und zum Ort riss auch nicht ab, als er mit zehn Jahren ins Internat der St. Florianer Sängerknaben wechselte. Das Heimweh plagte den Talentierten lange Zeit, die Abschiede nach den Wochenendbesuchen daheim fielen oft recht schwer. „Ich konnte mich über die Musik retten“, erzählt er. Man darf sich den jungen Alois als sehr fantasievolles Kind vorstellen. Schon als Dreijähriger durfte er mit seiner ministrierenden Schwester im Altarraum mitmachen. Man nähte ihm sogar ein eigenes kleines Ministrantengewand. Was ihn dazu animierte, daheim im Stiegenhaus den Gottesdienst nachzuspielen und gleich auch den Kirchenchor alleine zu singen. „Ich hatte eine besonders laute Stimme“, erinnert er sich. Was ihm auch Aufmerksamkeit sicherte. Das freie Spiel ließ ihn Fantasiewelten schaffen. Mit seinem Freund, dem Nachbarsbuben, inszenierte er sogar das Begräbnis toter Vögel. Seine Familie hinderte ihn nicht, seine Mama spielte sogar mit und lud als Köchin zur Zehrung. „Es war schon etwas crazy“, sagt Alois Mühlbacher heute mit einem Lachen. Sein kindlicher Traumberuf Priester zu werden, verflüchtigte sich im Lauf der Jahre. Er wurde vom Wunsch Schauspieler zu werden abgelöst und änderte sich schließlich zum Sänger. Inzwischen hat der Countertenor seinen Master in Sologesang er an der Universität Wien abgeschlossen, jener in Alter Musik folgt. Mit einer sehr speziellen Aufnahme des Titels „Don’t stop me now“ der Rockband „Queen“ gemischt mit barocker Inszenierung zeigt er, dass die Lust am Spiel, die ihn als Kind geprägt hat, sich nun künstlerisch umsetzt. Alois Mühlbacher strebt an, mit den Besten seines Metiers zu musizieren. Sein Auftritt mit dem renommierten Dirigenten Marc Minkowski in Georg Friedrich Händels Oper „Alcina“ an der berühmten Mailänder Scala brachte ihn diesem Wunsch einen großen Schritt näher. Seit 2024 kuratiert Mühlbacher das „Barock Festival St. Pölten“, mit dem Ensemble Palidor verfügt er über ein eigenes Barockorchester. Bei allem Engagement und Ehrgeiz, den der mit der Musik entwickelt hat, liebt er aber auch die Freiheit. Wenn er in Hinterstoder wandert oder einfach nur bei den Eltern und seinen beiden Schwestern daheim ist, spürt Alois Mühlbacher sie unmittelbar.
„Sport ist eine Ausbildung für’s Leben“ – Sandra Reichel
Sandra Reichel hat als Kind am Tennisplatz beim „Wirt am Berg“ in Wels ihre ersten Aufschläge probiert. Heute veranstaltet sie mit dem Upper Austria Ladies Linz das renommierteste Damen-Tennisturnier Österreichs.
Der „Wirt am Berg“ im Welser Stadtteil Lichtenegg glänzt bis heute als Feinschmeckerlokal. Für Sandra Reichel hat der Ort aber aus anderen Gründen eine große Bedeutung. Ihre Mutter war eine Tochter des Hauses und ihr Vater hat sie bereits als Fünfjährige zum Tennisplatz neben dem Lokal mitgenommen. Das willensstarke Mädchen hatte ihm durch Schläge auf das Garagentor demonstriert, dass sie mitkommen wollte, wenn er den Tennisschläger eingepackt hat. „Zuerst habe ich im Club einfach an die Wand gespielt, dann habe ich von Alfred Hipfl die ersten Trainerstunden bekommen.“ Auf dem Platz der „Union“ gegenüber hat ihre Tennisausbildung Konturen angenommen. Sie wurde in sämtlichen Jugendkategorien Landesmeisterin, schließlich Damenlandesmeisterin, hat Staatsmeisterschaften gespielt und ist bei internationalen Turnieren angetreten. Das Gymnasium bei den Franziskanerinnen in Wels ließ sich dank einer Genehmigung des Landesschulrates neben den vielen Trainings und Turnieren gut bewältigen: „Die Kombination aus Tennis und Schule hat mir getaugt“, erinnert sich die heute 53jährige. Mit einem Bus der Union rückten acht Burschen und Mädchen immer wieder zu Wettkämpfen aus. „Am Platz haben wir uns gematcht, und anschließend sind wir friedlich miteinander heimgefahren.“ Der Sport sei für sie wie eine zweite Ausbildung gewesen, überlegt Reichel. „Man lernt, wie man mit Niederlagen umgeht, dass man wieder weiter trainiert, man lernt Disziplin und Durchsetzungsvermögen.“ Sehr früh reiste Sandra Reichel ohne elterliche Begleitung zu Turnieren, als 16-/17jährige auch ganz allein zu Turnieren nach Übersee oder in Europa. „Ich habe viel von der Welt gesehen. Das waren tolle Erlebnisse.“ Sie habe einen anderen Blick auf andere Menschen bekommen. „Es ist egal, woher jemand kommt, man verurteilt einander nicht, es geht nur darum, dass der Bessere gewinnt.“ Deswegen ist ihr die Förderung des Sportes bei Kindern und Jugendlichen ein enormes Anliegen. Besonders fördert Sandra Reichel junge Frauen im Tennis. „Es ist so wichtig, dass es Vorbilder gibt.“ Ihre eigenen waren die US-amerikanische Tennisweltranglistenerste Chris Evert und der schwedische Tennisstar Björn Borg. Dem hatte sie in der ersten Klasse Volksschule sogar einen Fan-Brief geschrieben. Als sie ihn in späteren Jahren persönlich kennengelernt hat, erzählte sie ihm davon. „Es war eine sehr nette Begegnung.“ Dass es das Upper Austria Ladies Linz Turnier gibt, hängt übrigens auch mit Sandra Reichel persönlich zusammen. Ihr Vater hatte 1989 für seine Tochter in Wels ein kleines Turnier ausgerichtet. Aus diesem wuchs das renommierte Damenturnier, das inzwischen von Sandra Reichel gemanagt wird und in Linz über die Bühne geht. „Ich sehe meine Aufgabe darin, Frauen im Sport präsent zu machen, meinen Beitrag zu leisten, dass Frauensport genauso anerkannt wird wie Männersport.“ Sagt’s und reist zum nächsten Turnier, um Kontakte zu knüpfen und Spielerinnen für „ihr“ Turnier zu gewinnen. Als Managerin ist sie wohl selbst ein Vorbild geworden.
Text: Dr. Christine Haiden
Das Urteil beendet den Prozess
Es gib einen Satz, der eine tiefe Lebensweisheit enthält: Das Urteil beendet den Prozess. Diese Binsenwahrheit scheint fast zu banal zu sein, als dass es sich lohnt, darüber nachzudenken.
In jedem Gerichtsverfahren beendet das Urteil den Prozess. Am Ende weiß jeder, wer der Schuldige oder Unschuldige ist. Wenn das Urteil gesprochen ist und die Berufungsverfahren abgeschlossen sind, ist der Prozess zu Ende.
Im alltäglichen Leben ist es ähnlich. Du begegnest einem Menschen, mit dem du gute oder schlechte Erfahrungen gemacht hast. Ohne dass es dir bewusst ist, bildest du dir ein Urteil: Dieser Mensch ist dir sympathisch, jener nicht. Da steht ein schlechter Mensch, dort ein guter – das Urteil ist gefällt. Wir glauben, dass uns Urteile weiterbringen, aber in Wahrheit behindern sie den Lebensprozess. Sie schneiden dir die Möglichkeiten dem Umdenkens, der Umkehr und des Neuwerdens ab. Das einmal gefällte Urteil raubt nicht nur die anderen die Chance zum Leben, zur Entwicklung und zu Entfaltung, sondern du gibst dir selbst keine Möglichkeit, mit ihm oder mit einer Sache weiterzukommen. Kinder, deren Entwicklung durch dauernde Verurteilungen geprägt ist, werden an Leib und Seele behindert. Und Erwachsene, denen immer Wieder die gleichen Urteile und Vorurteile entgegengebracht werden, verkümmern, resignieren und verlieren den Mut.
Jeder weiß aus eigener Erfahrung, dass man im Leben immer wieder urteilen muss. Aber es wird selten bedacht, dass das Urteil den Prozess beendet – den Lebensprozess, die Entwicklung, auch mögliche Veränderungen. Deshalb ist es meist klüger, nicht zu urteilen. Das fordert eine Haltung, die uns Gott entgegenbringt: Er bricht das geknickte Rohr nicht und löscht den glimmenden Docht nicht aus.
Wir Menschen neigen dazu, Personen, ihre Handlungen und Ansichten in Schubladen abzulegen. Diese Urteile und Bewertungen brauchen wir, sonst fühlen wir uns bedroht. Erst wenn alles in der richtigen Schublade liegt, verschwindet die Angst. Jeder kennt solche Beispiele: Ausländer sind gefährlich, Zuwanderer nehmen den Inländern die Arbeitsplätze weg, Beamte sind faul. Mit Schubladen kann man sein Leben besser meistern, glauben viele, aber das Gegenteil ist der Fall: Sie sind fürs Leben hinderlich.
Aus dem Buch "Josef und die drei Könige" von Gert Böhm und Johannes Pausch
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